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FingerspitzengefühlWarum der Tastsinn lebenswichtig ist

Wenn Fingerspitzen über ein Stück Papier streichen, werden kleinste Unebenheiten spürbar, punktuelle Erhebungen in bestimmtem Abstand und mit bestimmtem Muster – das ist die Blindenschrift, entwickelt von Louis Braille. Mit ihrer Hilfe können Blinde allein dank der Sensibilität ihrer Finger ganze Texte lesen. Für unsere Fingerkuppen ist das bei etwas Übung keine besondere Leistung: Sie können sogar winzigste Erhebungen von gerade einmal 0,006 Millimetern erspüren. Ein Punkt der Blindenschrift ist 167 Mal höher.

Die feine Sensorik verdankt unsere Haut mehreren Sinneszellen, die wie Oberflächensensoren Reize an das Rückenmark weiterleiten. Gemeinsam mit den Sinnesorganen, wie beispielsweise unseren Augen und Ohren, sind sie so etwas wie die Aussenstellen unseres Gehirns.

Über die Sensoren in unserer Haut nehmen wir wahr, ob es heiss oder kalt ist, ob wir verletzt werden, ob es drückt oder reibt. Nicht zuletzt können sie das schöne Gefühl vermitteln, liebevoll von einem anderen Menschen berührt zu werden.

Fährt man mit dem Finger über die Braille-Schrift, reagieren die verschiedenen Mechanorezeptoren unterschiedlich:
Die Merkel-Zell-Rezeptoren feuern kontinuierlich, solange die Haut in ihrem rezeptiven Feld über den jeweiligen Punkt gleitet. So vermitteln sie dem Gehirn recht genaue Informationen über die Form der Erhebungen.
Die Meissner-Körperchen haben grössere rezeptive Felder sind also weniger genau als die Merkel-Zell-Rezeptoren. Zudem adaptieren sie schnell.
Ruffini-Körperchen wieder reagieren auf Hautdehnung und sind darum wenig geeignet, dem Gehirn etwas über die Form und die Abstände der Punkte mitzuteilen.
Vater-Pacini-Körperchen feuern bei Vibration. Berühren sie einen Punkt, sinkt ihre Aktivität, möglicherweise weil die Erhebung Vibrationen reduziert.

Grafik Dana Zymalkowski nach J.R. Phillips et al., 1990

Mechanorezeptoren fühlen Berührungen

Die Mehrheit der Oberflächensensoren der Haut stellen die so genannten Mechanorezeptoren. Sie befinden sich in den oberen Schichten der Haut, reagieren auf physische Verformungen und sind die Wächter über alle Hautkontakte. Dabei herrscht strikte Arbeitsteilung: Unterschiedliche Sensoren übernehmen unterschiedliche Aufgaben.

Hautquerschnitt mit Darstellung der Mechanorezeptoren (Quelle www.dasgehirn.info)

Die Meissner-Körperchen registrieren, wie schnell die Haut an der Reizstelle eingedrückt wird. Eingebettet sind diese 100 bis 150 Mikrometer grossen Sinneszellen zum Beispiel in der Haut der Fingerspitzen, der Handflächen oder der Fusssohlen.

Merkel-Zellen mit einem Durchmesser von 10 Mikrometern reagieren hingegen auf eine anhaltende Berührung. Auch sie findet man in der Handinnenfläche oder auf der Fusssohle, aber auch in behaarter Haut.

Ruffini-Körperchen wiederum sind Sensoren für die Stärke einer Hautdehnung. Sie sind etwa zwei Millimeter lang, verteilen sich über unsere gesamte Körperoberfläche und sind auch in Gelenken, Gefässwänden und Bändern zu finden, wo sie deren Dehnungszustand kontrollieren.

Spürt man auf der Haut eine Vibration, so ist dies den Vater-Pacini-Körperchen zu verdanken. Diese haben einen Durchmesser von einem Millimeter und liegen in der Unterhaut, aber auch in Organen wie beispielsweise der Harnblase oder der Bauchspeicheldrüse. Auch die Haare in unserer Haut geben dem Hirn Hinweise: Werden sie berührt, dehnt sich der Haarfollikel-Rezeptor.

Rezeptive Felder bestimmen Empfindsamkeit

Mindestens zwei Faktoren bestimmen die Genauigkeit, mit der wir den Ort einer Reizung erkennen können: Ein Faktor ist die Dichte der Merkel-Zellen und Meissner-Körperchen in dieser Region. Darum sind wir an den Handflächen und Fusssohlen, die besonders viele Meissner-Körperchen und Merkel-Zellen beherbergen, überaus empfindlich. Wichtig ist aber zweitens auch die „Rechenleistung“, die das Gehirn einer bestimmten Körperregion widmet – und die hängt wiederum von der Anzahl der Neuronen ab, die daran beteiligt sind, die eingehenden Signale zu verarbeiten.

Sensoren für Wärme, Kälte und Schaden

Neben den Mechanorezeptoren gibt es eine weitere Gruppe von Hautsensoren:

Die Thermorezeptoren sind unser körpereigenes Thermometer und reagieren jeweils auf Wärme oder Kälte. Besonders dicht sitzen die Kalt- und Warmrezeptoren an Kinn, Nase, Ohrmuschel, Ohrläppchen und Lippen. Insgesamt besitzt unsere Hautoberfläche etwa 250.000 Kälterezeptoren.

Auch Schmerzrezeptoren verteilen sich als freie Nervenenden auf unserer Körperoberfläche. Mit ihrer Hilfe erfährt unser Gehirn, an welcher Stelle der Haut ein Schaden droht, und hilft so, uns vor Verletzungen zu schützen.

Über das Rückenmark ins Gehirn

Was genau passiert nun im Körper, wenn wir uns mit einer Feder über die Haut streichen, oder wir plötzlich im kalten Winterwind stehen? Der jeweilige Reiz wird von den Sinneszellen in ein elektrisches Signal umgewandelt. Dieses folgt den Nervenbahnen über das Rückenmark in Richtung Gehirn, wobei es zunächst im Rückenmark auf weitere Nervenzellen umgeschaltet wird. Die so schon „vor-ausgewertete“ Nachricht läuft dann weiter über das verlängerte Mark (Medulla oblongata) in den Thalamus, der als Filter für Informationen fungiert. Schliesslich erreicht sie die primäre sensorische Region der Grosshirnrinde, den somatosensorischen Cortex. Mechanische Reize, Temperaturreize oder auch Schmerzen werden hier lokalisiert und bewertet.

Allerdings erreichen nicht alle Reize dieses Hirnareal: Bereits im Rückenmark gibt es neuronale Verknüpfungen, die ohne Mitwirkung des Gehirns einfache Bewegungen auslösen – die Reflexe.

Abhängig davon, in welcher Körperregion eine Rezeptorzelle einen Reiz wahrgenommen hat, erreichen die Informationen auch eine bestimmte Region im somatosensorischen Cortex. Jede Körperregion hat damit ihr Abbild in der Hirnrinde. Die Grösse dieses Abbildes entspricht jedoch nicht der Fläche der Körperregion. Denn Körperteile mit einer hohen Dichte an Rezeptoren, wie die Fingerspitzen, leiten wesentlich mehr Informationen über eine Berührung oder Schmerzen an unser Gehirn weiter, als es beispielsweise die Rückenregion tut. Die grössere Anzahl von Neuronen wiederum besetzt eine grössere Fläche der Hirnrinde. So kann das Gehirn ähnlich wie ein Fotoapparat mit einer höheren Anzahl von Pixeln ein genaueres Bild dieser Körperteile berechnen.

Die Folgen kann man selbst testen: Halten Sie einfach ein feines, gefülltes Weinglas wie gewohnt zwischen den Fingern und versuchen Sie dann das selbe zwischen den Knien. Spüren Sie den Unterschied? Nicht umsonst ist in Situationen, die viel Einfühlungsvermögen erfordern, „Fingerspitzengefühl“ gefragt.

Quelle

dasgehirn.info

Quelle

simplyscience.ch