Gemäss der letzten unabhängige Gesundheitsausgabenprognose der KOF der ETH Zürich im Herbst 2019 geben wir 2020 für Gesundheit inklusive aller Löhne über 90 Mrd. Franken aus. Trotz aller Bemühungen in den letzten Jahren legen die Ausgaben jedes Jahr um rund drei Milliarden zu. Gleichzeitig ist das Gesundheitswesen ein wichtiger Wertschöpfungsfaktor mit über 280‘000 Beschäftigten (VZE, Stand 2017) und einem Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) von über zwölf Prozent.
von Max Winiger
Grundsätzlich liegt es in unser aller Interesse, dass im Gesundheitswesen effizient gearbeitet wird. Schliesslich stellen die Krankenkassenprämien eine hohe finanzielle Belastung für die Haushalte dar. Und auch sonst ist der Anteil der direkten Kostenbeteiligung für gesundheitsspezifische Leistungen in der Schweiz höher als in anderen Ländern. Irritierend ist jedoch, wenn der Bundesrat mit Studien Zahlen verbreitet, die erstens mit völlig veralteten Daten erstellt worden sind, zweitens auf zumindest fragwürdigen Berechnungen basieren und drittens eine Berufsgruppe pauschal an den Pranger stellen, die das nicht verdient.
Was darf ein Arzt verdienen?
Es gibt in allen Branchen schwarze Schafe. Auch bei den Ärztinnen und Ärzten gibt es Fälle, in denen die pekuniäre Einstellung nicht mehr im Einklang mit der Bedeutung des Berufs steht. Aber: Wieviel darf denn ein Arzt, eine Ärztin verdienen? Wie gross ist die Verantwortung? Wie gross ist der Wert der medizinischen Betreuungsqualität für die Gesellschaft? Gewiss: Transparenz ist keine Königstugend in der Medizin. Aber worüber diskutieren wir überhaupt? Darf eine Ärztin, ein Arzt mehr verdienen als ein Elektriker, ein Sanitärinstallateur, ein IT-Programmierer? Und wenn wir schon dabei sind: Darf der CEO einer Krankenkasse – es gibt in der Schweiz 52 Krankenkassen für acht Millionen Menschen –, darf also ein CEO einer Krankenkasse 300'000 Franken verdienen? 500'000 Franken? Warum? Warum nicht?
Wieviel darf eine Handchirurgin, ein Handchirurg verdienen nach einer über zehnjährigen Aus- und Weiterbildung? Denn die Hand ist schon etwas Besonderes. Ohne intakte Hände könnte kein Arzt seine Patienten behandeln, kein Elektriker könnte arbeiten, kein Sanitärinstallateur, kein Banker. Womit bedienen Sie Ihr Smartphone? Wie schreibe ich diesen Text? Die Entwicklung der menschlichen Hand ist ein Hauptgrund für die Entwicklung des Menschen überhaupt. Unsere Hände beanspruchen einen Viertel der menschlichen Grosshirnrindenareale (Cortex).
Diskussion auf höherem Niveau
Wer sich mit dem Wunderwerk Hand erst einmal befasst, wer den Wert der Hand wahrnimmt, wer sich der Bedeutung intakter Hände bewusst wird, der erkennt: Ärztinnen und Ärzte leisten einen unglaublich wichtigen Dienst an unserer Gesellschaft. In allen Bereichen. Handchirurgie ist dabei nur eines von vielen Fachgebieten. Nicht nur Spezialisten, auch Allgemeinpraktiker leisten jeden Tag ihren Beitrag zum Wohl und der Prosperität unserer Gesellschaft. Es ist an der Zeit, die Diskussion auf ein höheres Niveau zu führen. Es ist überdrüssig, immer und fast nur noch über Einkommen zu streiten, Futterneid zu schüren. Es ist unwürdig, wenn die Politik mit veralteten und falschen Zahlen die Medien anheizt.
Das gilt übrigens nicht nur für die Ärztinnen und Ärzte, sondern auch für über 40'000 Spitex-Pflegerinnen und Pfleger und für alle medizinischen Fachpersonen in allen Bereichen, die sich jeden Tag (und viele auch jede Nacht) dafür einsetzen, dass unser Land dank eines der weltweit besten Gesundheitssysteme eine hohe Leistungsfähigkeit hat, dass die Menschen sich hier darauf verlassen können, auch medizinisch auf höchstem Niveau betreut zu werden. Notabene in einer Gesellschaft, die immer älter wird.
Umdenken nach Corona?
Der vorgehende Abschnitt wurde Ende 2019 verfasst. Die Corona-Pandemie hat bewiesen, dass ein Umdenken dringend nötig ist. Das Verhindern von Engpässen in Spitälern, von Mangel an Betten auf Intensivstationen hat uns enorm viel Geld gekostet. Werden wir nun umdenken? Werden wir die Leistungen insbesondere von Pflegerinnen und Pflegern, von Spitex-Mitarbeitenden höher gewichten? Nicht nur mit Applaus vom Balkon aus, sondern auch mit besseren Arbeitsbedingungen? Mit mehr Wertschätzung? Die nächsten Monate werden es zeigen.
Acht von zehn Operationen ambulant
Auch die Handchirurginnen und Handchirurgen leisten wertvolle Arbeit. Sie reichen die Hand zum konstruktiven Dialog. Sie verlangen mit Recht eine faire Behandlung und letztlich eine Tarifstruktur, welche den Wert ihrer Tätigkeit widerspiegelt. Es kann nicht sein, dass es sich für eine Handchirurgin oder einen Handchirurgen nicht mehr rechnet, das Skalpell in die Hand zu nehmen, um häufig vorkommende Ereignisse zu operieren (zum Beispiel das Karpaltunnelsyndrom). Es kann auch nicht sein, dass ausgerechnet in der Handchirurgie die Tarife in fünf Jahren zweimal gesenkt werden. Zumal Handchirurgie eine absolut ökonomische Disziplin ist. Acht von zehn Operationen werden schon heute ambulant durchgeführt.
Es geht letztlich um Wertschätzung. Es geht darum zu entscheiden, welchen Wert eine Disziplin, eine Arbeit für die Gesellschaft hat. Denn es liegt auf der Hand: Gesundheit hat ihren Preis. Ein sehr gutes Gesundheitssystem kann nicht billig sein. Vor allem hat die Qualität der medizinischen Versorgung aber einen Wert. Wir sollten mehr über diesen Wert reden. Und wir sollten aufgrund aktueller Fakten diskutieren, transparent und nicht mit veralteten oder frisierten Daten.